Infos für Lehrpersonen

An die Lehrerinnen und Lehrer der Stadtzürcher Schulen

 Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen

Mit dem vorliegenden Schreiben möchten wir euch über die geplanten und teils bereits umgesetzten Änderungen im städtischen Betreuungswesen und die damit verbundenen Auswirkungen informieren.

Mit der Annahme des Volksschulgesetzes im Jahre 2005 ist die Stadt Zürich seit 2009 verpflichtet, jedem Kind, das einen Betreuungsplatz beansprucht, einen solchen zur Verfügung zu stellen. Heute beanspruchen rund 35% der SchülerInnen einen Betreuungsplatz. In knapp acht Jahren werden es gemäss Berechnungen des SSD 70 % sein!Um der massiv steigenden Nachfrage nach Betreuungsplätzen gerecht zu werden, wurde in der Stadt Zürich das Grossprojekt „Erweiterte Tagesstrukturen“ (ET) ins Leben gerufen.
Erklärte Ziele dieses Projekts sind, die Nachfrage ohne Qualitätsverlust bei der Betreuung zu decken und das hohe Engagement der Hortangestellten zu erhalten, das ihnen gemäss einer vom SSD in Auftrag gegebenen Zufriedenheitsumfrage im März 2012 von den Eltern attestiert wurde.

Ein Ausbau des Betreuungsangebotes ist mit Sicherheit notwendig. Damit dies ohne Qualitätsabbau gelingt, braucht es aber auch die dafür notwendigen finanziellen Mittel und genügend Zeit für die Umsetzung. Die massiv steigende Nachfrage generiert Folgekosten, die 2005 nicht annähernd genau abgeschätzt werden konnten. Und der Zeitrahmen für die Umsetzung ist viel zu knapp bemessen. Weil die Stadt nicht in der Lage ist, die entsprechenden Ressourcen zur Verfügung zu stellen und weil wegen der grossen Nachfrage inzwischen ein viel zu hoher Zeitdruck besteht, gelangen im Rahmen des Projekts ET Strategien zur Anwendung, die einen erheblichen Abbau der Betreuungsqualität zur Folge haben.

Ein kurzer Überblick über die Projektstrategien und die damit verbundenen Auswirkungen:

Erhebliche Vergrösserungen der Kindergruppen.

Individuelle und bedürfnisgerechte Betreuung werden stark eingeschränkt.
Die Kinder müssen sich permanent in wachsenden Gruppen behaupten und sind dadurch viel häufiger in Auseinandersetzungen und Positionskonflikte verwickelt.

Errichtung von Gross- und Grössthorten (mit Kinderzahlen bis 150!).

Pädagogische Beziehungsarbeit wird stark erschwert und Betreuung droht zur Abfertigung zu werden.
Die Verbindlichkeiten und das Verantwortungsbewusstsein der Kinder nehmen ab.

Senkung des Ausbildungsniveaus des zukünftig anzustellenden Hortpersonals.

Die Wahrnehmung der Verantwortung für den gesamten Betreuungsbereich wird erschwert.
Der Berufsstand des Hortpersonals erfährt eine Entwertung.

Reduktion der Quadratmeterzahl pro Kind (mehr Kinder auf gleicher Fläche – genannt „Verdichtung“).

Es steht erheblich weniger Platz zur Ausübung verschiedenster Aktivitäten zur Verfügung.
Die Kinder haben immer weniger Gelegenheit, sich zurückzuziehen oder in Ruhe einer Beschäftigung nachzugehen.

Nutzung (bzw. Zweckentfremdung) von Gängen in Schulhäusern, von Turnhallen, Bibliotheken, anderen Schulräumlichkeiten und externen Lokalitäten für die Betreuung.

Durch die Aufsplittung von Betreuungsräumlichkeiten gehen bei den Kindern wichtige Gefühle wie Geborgenheit und Sicherheit im „eigenen Hort“ verloren. Die Identifikation vieler Kinder mit dem Hort als „zweites Zuhause“ wird stark beeinträchtigt.
Verlust von persönlichen Gestaltungsmöglichkeiten der Horträumlichkeiten.

Flexible Einsätze des Hortpersonals an wechselnden Arbeitsorten und in verschiedenen Kindergruppen.

Die Grundlage für eine kontinuierliche Beziehungsarbeit geht verloren.
Die Anzahl der Bezugspersonen wird für die Kinder viel zu gross.

Massive Verschlechterungen der Anstellungsbedingungen des Hortpersonals.

Die Bereitschaft zu hoher Arbeitsleistung und die Arbeitsmoral sinken.

Einschränkung der Vor- und Nachbereitungszeit.

Es gehen wichtige Ressourcen verloren, die für eine verantwortungsvolle Ausübung des Berufs als HortleiterIn notwendig sind.

Erhöhung der Hortkosten für die Eltern.

Viele Eltern werden sich überlegen müssen, ob sie sich die ausserfamiliäre Betreuung noch leisten können, auch wenn diese für ihre Kinder von Vorteil wäre.

 

Die Erwartungen an die Betreuungsarbeit sind hoch. Sie soll Sprachförderung leisten, sie soll integrativ wirken und das Zusammenleben verschiedener Kulturen unterstützen, sie soll Hausaufgabenhilfe leisten und damit die Schulerfolge der Kinder fördern, sie soll sinnvolle Freizeitbeschäftigungen anbieten und Gewaltprävention leisten, sie soll die Sozialkompetenzen der Kinder in verschiedenen Bereichen fördern, sie soll die Zusammenarbeit zwischen Schule, Betreuung und Eltern unterstützen, und noch vieles mehr.

Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Aufgaben unter Beibehaltung der Betreuungsqualität muss zumindest der Zeithorizont für die Umsetzung des Projekts „Erweiterte Tagesstrukturen“ wesentlich ausgedehnt werden, damit einer Verschlechterung der Qualität durch eine einseitige Verlagerung des Fokus auf Quantität Einhalt geboten werden kann. Die vielen Tausend Kinder in der Stadt Zürich und ihre Eltern müssen die Gewissheit haben, dass die Voraussetzungen für qualitativ hochwertige und pädagogisch wertvolle Betreuungsarbeit auch in Zukunft gegeben sind und die Stadt bereit ist, qualitätsmindernde Auswirkungen zu verhindern.

 

In diesem Sinne halten wir fest:

Kinderbetreuung braucht Qualität  –  Kinder brauchen Raum und Zeit  –  Kinder brauchen Verlässlichkeit

Kinder brauchen Sorgfalt

Und wir verlangen:

Keine weitere Verengung der Platzverhältnisse  –  Keine Senkung des Ausbildungsniveaus beim Hortpersonal

Keine Reduktion der Qualität auf „sauber, sicher, satt“  –  Keine Senkung der Betriebskosten pro Hortplatz

Keine Senkung der Ferien und Altersentlastung beim Hortpersonal.

Je besser die genannten Voraussetzungen erfüllt sind, desto höher ist die pädagogische Betreuungsqualität und desto besser gelingt die Förderung der Kinder in Bereichen wie Sozialkompetenz, Integrationsfähigkeit, Anpassungsvermögen, Konflikttoleranz und Teamfähigkeit. Dies sind wesentliche Aspekte, die auch einen direkten Einfluss auf den schulischen Unterricht haben.

Da eine qualitativ gute Betreuung mit ihren positiven Auswirkungen auf den Schulbetrieb sicher auch im Interesse der Lehrpersonen liegt, hoffen wir, bei euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf Verständnis und Unterstützung zu stossen. Zugunsten der Stadtzürcher Kinder, an deren Förderung wir nicht sparen sollten!

Gemeinsam für eine gute Schule!

Gemeinsam für eine gute Betreuung!

Gemeinsam für eine gute Gemeinschaft!

Zürich, im März 2013

Info Lehrpersonen_März13